Ostsee umrundet

Am 28.07.2013 kurz vor 17 Uhr war es soweit, der Kreis hatte sich geschlossen – wir hatten die Ostsee umrundet. Was 2011 über Polen, Kaliningrad, die baltischen Staaten, Sankt Petersburg, Finnland, den Alandinseln, Schweden und Dänemark begann, fand an diesem Tag nach der Reise durch den Bottnischen Meerbusen über Dänemark, Schweden und Finnland seinen Abschluss.
Insgesamt waren wir 2011 und 2013 5585 sm unterwegs.
Am 28.07., einem neblig – diesigen Sonntag fuhren wir von Norden kommend durch die schwedischen Schären. Unser Ziel war Graddö. Wir schauten auf den Weg an der Backbordseite, der uns zwei Jahre zuvor ebenfalls nach Graddö gebracht hatte. Walter und ich blickten uns voller Begeisterung an. Dankbar genoss ich die vielen Bilder, die vor meinem inneren Auge auftauchten. Meine Freude, immer weiter ostwärts segeln zu dürfen, bis die See zu Ende war. Vor 25 Jahren wäre das undenkbar gewesen. Der heiße Sommer, die schönen Städte, die langen Tage auf dem Meer, die Begegnungen mit vielen netten Menschen.
Und diesen Sommer, als es immer weiter nordwärts ging, das Wasser felsiger und flacher  wurde, das Land spärlicher besiedelt war, jedoch immer wieder moderne Städte wie aus dem Nichts auftauchten. Und wir immer wieder von Landschaften überrascht wurden, wunderschön, manchmal fast so unwirklich wie ein Traum.
Vor zwei Jahren sagte uns ein Finne, den wir auf der estnischen Insel Kihnu kennengelernt hatten, dass die schwedische Seite des Bottnischen Meerbusens viel reizvoller wäre, allem voran die Höga Kusta. Das mag vielleicht sein. Doch so eindrucksvoll wie nahe dem kleinen, finnischen Fischerhafen von Vikarskat haben wir die Landhebung nirgends erlebt. Vor allem nach dem Besuch von Terranova, dem Naturzentrum des Kvaken im Ostrobothnischen Museum in Vaasa. Im Kvaken bekamen wir einen Eindruck von Zeit. 10 000 Jahre nach der letzten Eiszeit taucht das Land immer noch an die Wasseroberfläche auf. Wir durften für noch nicht mal eine Nanosekunde der Erdgeschichte Zeuge sein. Keine einzige Seemeile an der finnischen Westküste möchte ich vermissen.
In Haparanda (Schweden) mussten wir in ein Auto umsteigen, um von dieser Richtung ans Nordkap zu kommen. Unsere Überraschung, als es dort schwül und sehr warm war. Michaels Verzweiflung darüber, wo er denn noch hin sollte. Er mag es lieber kühler. Ein paar Tage zuvor an Mittsommer, standen eine Menge Wohnmobile auf dem riesigen Parkplatz im Sturm. Als wir das Nordkap verließen, begann es zu regnen.
Die schwedische Ostküste – unbestritten schön, allem voran Orte wie Ratan, Mellanfjörden, Skärsa und viele mehr. Die einmaligen Schweden, die in vollen Häfen solange Boote regelrecht zusammenschieben, bis noch ein Segler unterkommt. Im Gegensatz zu Deutschen, die Angst um ihr Boot haben, obwohl der Nachbar straff an einer Heckboje liegt – ohne jede Chance, sich jemals dem heiligen Gefährt zu nähern.
Bei manchen Seglern hatten wir den Eindruck, dass sie den Bottnischen Meerbusen durchjagten. Das ist natürlich eine Frage, wie viel Zeit man hat (oder sich nimmt). Wir waren der Meinung, dass wir das viel besser machen würden. Bis wir Anfang Juni ein deutsches Paar aus England in Kristinestad kennenlernten, die in dieser Saison gerade mal von Haparanda kamen. Ihr Boot hatte dort überwintert.
Eine Freundin, die ich sehr mag, fragte uns, als wir wieder zu Hause waren, welches unser schönstes Erlebnis unterwegs war. Mir fiel sofort Kalmar ein, als ich diesen dummen Fehler gemacht hatte und die Snow Goose in Steinen verkantet war. Als mir schlecht vor Angst um das Boot war und ich befürchtete, dass es ernsthaft beschädigt wäre. Sweden Rescue hat uns aus dieser misslichen Lage befreit, die Snow Goose wurde aus dem Wasser genommen. Dann kam die Entwarnung vom Werftarbeiter – alles in Ordnung, Glück gehabt. Wir waren zwar um ein paar hundert Euro leichter, doch war das kein Vergleich zu dem riesigen Stein, der mir vom Herzen gefallen war.
Überhaupt war es immer wieder spannend, wenn wir uns mit anderen Seglern über Grundberührungen unterhielten. Im Nachhinein wurde dabei meist viel gelacht. Eine Geschichte fand ich besonders lustig.
Ein Mann war mit einem Freund unterwegs, der guten Kontakt zur amerikanischen Marine hatte. Das war zu der Zeit,als die ersten GPS Geräte getestet wurden. Die Crew war in einem gut betonnten Schärengebiet unterwegs. Der Freund stand am Ruder und fuhr außerhalb der Tonnen nach GPS. Auf die Frage: „Why?“ antwortete er stolz: „Ich vertraue dem GPS.“ Solange, bis sie krachend auf einen Stein fuhren. Ich stelle mir vor, wie das ausgesehen haben musste – das Boot fuhr zielstrebig außerhalb der Fahrwasserstraße, bis es nicht mehr weiterging. Mir ist schon klar, wie das ausgesehen hat. So wie bei mir, als ich vor Kalmar am Ruder stand…
In Graddö war der Törn keineswegs zu Ende. Wir nahmen Kurs zum Göta – und Trollhättankanal. Beschaulich tuckerten wir durch das Land umgeben von Grün in allen Schattierungen. Selbst das Wasser war grün. Schön war’s, auch hier erlebten wir Natur von ihrer schönsten Seite, Ruhe und Einsamkeit. Göteborg war wieder großartig. Vor allem mit Kathrin, die dieses Jahr früher als sonst dabei war und ruhigere Tage erlebte.
Wir segelten nach Läso. Zum Glück war die Saison schon zu Ende. Wir bekamen locker Platz im großen Hafen von Vesterö. In der Hochsaison ist es hier brechend voll. Hals war der Ausgangshafen zum Limfjord. Hier hat uns vor allem Aalborg, die quirrlige Stadt, gefallen. Und – große Ãœberraschung, wir hatten zwei Super – Segeltage. Der Limfjord ist breit und meistens tief und wir hatten Ostwind.
Thyborön liegt am Ende oder Anfang des Limfjords. Wir segelten nach Sylt. Ende August ist die Nordsee schon etwas gröber. Ich wunderte mich, dass ich nicht seekrank wurde. Dieses Jahr blieb ich überhaupt davon verschont. Ich habe nichts vermisst.
In Helgoland stiegen Anja und Frank zu. Anja stürzte sich todesmutig in das Segelabenteuer. Nichts konnte sie abhalten, dabei zu sein, als wir uns nach Cuxhafen über das wilde Meer kämpften. Sie trotzte Wellen und Seekrankheit.
Der Rest war Heimfahrt. In Brunsbüttel machten wir einen Hafentag und hatten so Zeit, das interessante Schleusenmuseum zu besichtigen und die besondere Atmosphäre in diesem Ort zu genießen.
Am 16.09. legten wir kurz vor 16 Uhr beim Obereider – Yachtservice in Rendsburg an. Wieso habe ich jedes Jahr das Gefühl, dass wir doch erst von dort los gefahren sind und das Ende einfach nicht sein kann?
Seit Langem sind wir wieder zu Hause. Das Gefühl am Anfang, dass wir hier fremd sind, hat sich rasch gelegt. Unsere Kinder helfen dabei tatkräftig mit – zum Glück. Wir haben unsere Familie wieder gesehen, unsere Freunde und Nachbarn. Das genießen wir sehr.
Und trotzdem machen wir Pläne für das nächste Jahr. Wir wollen wieder mehr Wasser unterm Kiel haben. Wir planen, erneut nach Island zu segeln. Nächstes Jahr möchten wir Island umrunden. Von Seydisfjördur an der Ostküste soll es nach Norden gehen. Wenn wir Glück haben und alles passt, segeln wir nach Grönland und wieder zurück nach Island. Über Reykjavik vermutlich zu den Westmännerinseln entlang der Südküste nach Höfn. Das sind unsere Pläne für die nächste Saison.

Ich denke oft an die Erlebnisse in diesem Jahr. Bei uns sind die Tage sehr kurz, die Sonne scheint manchmal tagelang nicht. Wie mag es nun im hohen Norden sein? Ich denke an den Schrecken in den Augen der jungen schwedischen und finnischen Frauen, wenn sie vom Winter in ihren schönen Ländern erzählten, von der Dunkelheit, der Kälte, dem vielen Schnee, vom Zustand, der kein Ende zu haben scheint. Jedoch – der nächste Sommer kommt bestimmt, ganz sicher!

Nun bleibt mir nur noch, mich zu bedanken. Bei den Leserinnen und Lesern für ihr Interesse. Danke für manchen guten Zuspruch, vor allem von Seglern.

An dieser Stelle senden wir einen Gruß an Thomas. Lieber Thomas, in einer Marina hätten wir uns vermutlich nie kennengelernt. Wir finden dich sehr sympathisch und mögen dich mehr als manchen (deutschen) Segler.

Wer uns in der nächsten Saison wieder begleiten möchte, ist herzlich eingeladen. Ende April wollen wir die Leinen los werfen.

Mein größter Dank geht an Skipper Walter. Ich gestehe, er hat dieses Jahr den größten Teil am Ruder gestanden. Selbststeueranlage ‚Jürgen‘ und ich waren angesichts der besonderen Unterwasserwelt des Bottnischen Meerbusens meistens überfordert. Walter möchte mal ein längeres Stück Einhand segeln. Ich hatte ihn öfters im Verdacht, dass er den diesjährigen Törn als Ãœbung betrachtete. Ich befürchte, dass, wenn ich wieder zusteigen sollte, Walter fröhlich winkend an mir vorbei segeln und rufen wird: „Jetzt weiß ich, was mir gefehlt hat.“   ;-)

Zum Schluss noch ein paar Sätze für alle, die nicht nachvollziehen können, wie wir leben und für alle, die leben wie wir. Sie sind aus dem spannenden Kriminalroman von Sven Kochs ‚Dünengrab‘.

‚Wer einmal selbst weit draußen auf dem Meer gewesen war und das große Nichts erlebt hatte, konnte verstehen, welche Ruhe und meditative Kraft in der Leere lag. Es war die große Freiheit. Niemand und nichts hielten einen auf. Man konnte einfach immer weiter segeln – ganz gleich, wohin. Alles war möglich.‘

So, nun aber Ende. Alles Gute, bleibt gesund!

 

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