Von Lounaranna nach Haapsalu

Gestern war ein aufregender Segeltag. Nach Kihnu haben wir in Lounaranna auf der Insel Muhu angelegt. (Wir sind jetzt bis St. Petersburg in Estland). Nach Lounaranna sind wir gekommen, weil Ursula und Uwe in Kuressaare meinten, dort wäre es schön und ein netter finnischer Nachbar auf Kihnu derselben Meinung war. Beide sagten, nach Virtsu könne man nicht gehen. Das war eigentlich unser Ziel auf der Strecke Richtung Tallin. Wir überlegten, ob wir Virtsu anschauen, die schlechte Ansicht der Anderen machte den Hafen schon wieder interessant. Die Zeit nahmen wir uns jedoch nicht.
Nach Lounaranna hinein zu kommen, stellte uns vor eine Herausforderung. Wir bewegen uns zur Zeit wieder auf flachem Gewässer. Der Weg war jedoch Dank Ansteuerungstonnen gut zu meistern. Die Ausfahrt ist in der Regel stressfreier, wo man hinein kommt, geht’s meist auch wieder raus. Alles ging gut. Der Hafen von Lounaranna liegt etwas abseits, wir umrundeten Muhu und bogen in die Suur – Straße zwischen der Insel und dem Festland ein. Der Wind wehte mit drei Beaufort aus Süden, wir fuhren nordwärts. Parasailorwetter! Da stand er endlich wieder. Anfangs segelten wir auf Raumwind Kurs, zwischen Virtsu und Kuivastu (Muhu) versuchten wir ihn kurz vor der Fährstraße auf Vorwind zu bringen. Wir schafften es nicht! Einmal schlackerte die Steuerbordseite, dann fiel die Backbordseite ein. Das 105 qm große Segel flatterte wild hin und her. Es wickelte sich um das Vorstag und war nicht zu bändigen. Ich machte den Motor an. Walter kämpfte mit dem Segel. Mit großer Mühe brachte er es wieder los. Doch dann, was für ein Schreck, ging es an backbord baden. Mit seiner ganzen Größe lag es im Wasser, rasch sinkend. Motor in Leerlauf, ich machte ihn zur Sicherheit ganz aus. Meine größte Sorge war, dass sich eine Leine um den Propeller des Motors wickelte, dann wären wir manövrierunfähig. Das wäre fatal, näherten wir uns doch rasch dem vier Seemeilen breiten Fahrwasser, auf dem zwei dicke Fähren ständig und ziemlich schnell kreuzten. Mit vereinten Kräften, unter Aufbietung all meiner Muskelkraft (naja) kämpften wir, das Segel zu bergen. 105 qm ist eine Menge nasser Stoff, das Meer war nicht bereit, es uns so leicht wieder zu geben. Wir gaben nicht auf. Endlich war es an Bord. Nun aber Motor an und raus aus dem Fahrwasser.
Wir brauchten jetzt erst mal eine Verschnaufpause und fuhren unter Motor weiter. Walter versuchte, das Segel in den Wind zu hängen, um es zu trocknen. Die Gefahr, es wieder zu verlieren, war groß. Außerdem sah ich hinterm Steuerrad fast nichts mehr. Walter verstaute es in der Tasche, das Trocknen muss warten.
Was ich an der Geschichte gut finde – wir waren beide ziemlich im Stress und trotzdem arbeiteten wir zügig, bedacht und verhältnismäßig ruhig zusammen. Es gab kein Schreien, keine unnötige Hektik, keine Schuldzuweisung. Deshalb würde ich mit Walter (fast) überall hinsegeln. Danke, Walter!
Doch der Tag war noch nicht zu Ende. Gegen 15 Uhr zogen wir die Genua hoch, immer noch mit achterlichem Wind, Motor aus. Wir näherten uns der grünen Wiese vor Haapsalu, unserem heutigen Ziel. Immer wieder mussten wir kleine Inseln umfahren. Die Frage war, rechts oder links rum – Pest oder Cholera? Für Einheimische ist das sicher kein Problem. Wir, jedoch, befinden uns immer wieder in neuem Fahrwasser. Dauernd kamen fiese Untiefen, die einem das Leben schwer machten. Wären da nur Sand und Schlick, aber nein, die Gegend hat auch Felsbrocken zu bieten. Eine Kollision damit ist sehr gefährlich. Ich streikte und übernahm meine Wache nicht mehr. Zu sehr habe ich das Geräusch in den Ohren, als ich vor Kuressaare auf Saaremaa über einen Stein gefahren bin. Mittlerweile war der Motor an, die Genua eingezogen. Das Fahrwasser ist gut betonnt, auf unserer Seekarte sind die Fahrwassertonnen von Hand (!) berichtigt. Walter fuhr mit ruhiger Hand, ich stand auf der Bank, Karte in der Hand und sagte ihm, wo es lang geht. Gute Teamarbeit, nicht wahr?
Wir befanden uns in der Mitte der Fahrstraße, als plötzlich der Tiefenmesser hektisch Alarm schlug, bei 2,50 Metern fängt er an – 2,30 – 2,20, ich erstarrte, 2,10, rummst es gleich? 2,00(unser Tiefgang!!!!) fahren wir noch? 1,80 Meter, das Herz drohte mir auszusetzen. Ein Blick auf das Log, das zeigte noch Fahrt an. Nicht abnehmend, wir bewegten uns vorwärts, nur merkwürdig ruckelnd. „Liegt das an der Drehzahlmesserfrequenz des Motors?“ fragte ich. Walter stellte fest, dass für die eingestellte Drehzahl die Geschwindigkeit zu langsam war. Wir hatten die Wiese unter uns gemäht und zogen jede Menge Seegras am Kiel und am Windpiloten hinter uns her. Walter löste das Problem mit einer Rückwärtsfahrt.
Diese zum Teil aus dem Wasser herausragenden Felsen sehen wild und schön aus. Leider zwang mich meine Furcht vor Kontakt dazu, meine Nase in die Karte zu halten. Sonst hätte ich fotografiert.
Um 18.30 Uhr legten wir in Haapsalu an. Bei einem Spaziergang durch die alte, romantische Stadt, endlich konnten wir Euros besorgen, vergaßen wir rasch die Mühen dieses Segeltages. Mit einer Pizza in einem gemütlichen Restaurantgarten beschlossen wir den aufregenden Tag.

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