Heute, am 09.09. um 13 Uhr fand das definitiv größte Highlight unserer Reise statt. Alles, wirklich alles, was wir bis jetzt erlebt haben, wurde in den Schatten gestellt. Ob das nun Sankt Petersburg oder eine sonstige Perle der Ostsee ist, nichts reicht an unser heutiges Erleben heran – an das Fischbrötchen essen in Kaseberga.
2004 waren wir in Schweden im Urlaub. Das waren unsere ersten kinderlosen Ferien nach vielen Jahren. Wir erfüllten uns einen Traum – ein einsames Häuschen an einem einsamen See in Schweden. Das hätten wir uns mit unseren Teenager – Kindern nie getraut.
Alle Touristen, die im südlichsten Schweden Urlaub machen, kommen nach Ystad, um Kommissar Wallander zu besuchen. Von Ystad aus, ungefähr 20 Kilometer Richtung Osten, führt das Besucherprogramm nach Kaseberga und zu Ales Stenar, einer riesigen Steinsetzung der Wikinger. Ales Stenar sieht aus wie ein Schiff, nur dass die Wikinger zusätzlich noch anhand des Sonnenstandes ablesen konnten, wie kurz oder lang die Tage sind und ob Tag – und Nachtgleiche ist, also so etwas wie eine riesige Uhr, sehr schön und beeindruckend. Die 58 Granitblöcke, manche mehr als zwei Meter hoch, liegen idyllisch auf einer Anhöhe mit Rundumblick, ein lohnenswerter Besuch. Allerdings bläst der Wind dort oben etwas ungemütlich. Auch Kommissar Wallander war dort öfters, wenn er mit seinen Ermittlungen nicht vorwärts kam und Ruhe brauchte.
Nachdem wir wunderbare Fischbrötchen genossen hatten, standen wir am Hafen. Ein älteres Ehepaar glitt mit ihrer Segelyacht durch den engen Eingang in die Marina herein, legte in aller Ruhe, souverän und gekonnt an. Wir waren beeindruckt. Walter meinte:“Das möchte ich auch.“ Und:“Die legen ja mit Bugstrahlruder an.“ „Womit??“ „Bugstrahlruder ist ein Ruder am Bug…“ „Was ist ein Bug?“ „Bug ist das Ende eines Schiffes vorne:“ „Ah ja. Was macht das Bugdings?“ „Das hilft beim Anlegen.“ „Ist das das, das so einen Lärm macht?“ „Äh, ja.“ „Und wie legt man an, wenn man kein Bug…, wie heißt das?“
Ein Jahr später verbrachten wir zwei Wochen in Mallorca auf einer Segelyacht, um uns auf die praktische Prüfung zum SKS, dem Sportboot Küstenschein, vorzubereiten. Zwei Wochen lang übten wir Kurs halten, Wenden, Halsen, Mensch über Bord Manöver unter Motor, unter Segel (!!!), Knoten, lernten Theorie zum Segeln, Anlegen mit Eindampfen und, und, und. Walter war früher oft mit einer Männercrew beim Segeln, er tat sich leicht. Für mich war alles Neuland, fremd und aufregend. Im Hinterkopf hatten wir stets den Prüfungstermin, an dem wir beweisen sollten, was für tolle Segler wir wären. Unser Segellehrer bemühte sich redlich, uns etwas beizubringen. Er meinte, die Yacht wäre schlecht ausgerüstet, eine Rettungsinsel würde fehlen. Als er die Signalraketen inspizierte, stellte er fest, dass sie längst abgelaufen waren. Vielleicht schaut der Prüfer sie nicht an, hoffte er. Ein Segelschüler fragte ihn:“ Brauchen wir nicht einen Rettungsring?“ Ach ja, den müsse er vor der Prüfung unbedingt besorgen. Unser Segellehrer war sehr nett, weder Segelschule noch Segelyacht gehörten ihm.
Der Prüfungstermin rückte näher. Die Nervosität nahm zu. Wir übten von morgens bis zum Abend, keiner beklagte sich. Der große Tag war da, endlich. Ein großer stattlicher Mann kam zu uns auf das Boot. Wir sollten die Ersten sein. Er stellte sich als Kapitän außer Dienst vor. Viele Jahre war er mit großen Frachtern über alle Meere, um die ganze Welt gefahren. Er war sehr freundlich – zu uns. Unseren Segellehrer fragte er als erstes nach einer Rettungsinsel – keine da. Er ließ sich die Seenotsignalmittel zeigen, das Verfallsdatum war abgelaufen. Er fixierte den Segellehrer mit hartem Blick und meinte:“Skipper, ich weigere mich, auf diesem Boot eine Prüfung abzunehmen. Mehr noch, ich weigere mich, mit einem derart unsicheren Boot mitzufahren und verlasse jetzt die Yacht.“ Sprach´s, und stieg über die Reling an Land. Wir angehende Segler waren sprachlos. Was war das denn? Unser Segellehrer stand da wie ein Schuljunge mit rotem Kopf und hängenden Schultern. Der frühere Kapitän sprach erneut:“Ein Vorschlag, ich bin damit einverstanden, dass die Prüflinge auf einem anderen Boot die Prüfung mitmachen, sofern das in einem besseren Zustand ist. Wenn sie das wollen,“ wandte er sich an uns. Wir schauten uns an. „Ja, ja natürlich,“ murmelten wir. Die andere Crew staunte, als wir im Schlepptau vom Prüfer zu ihnen auf das Boot kamen. Unserem Segellehrer hat er verboten, mitzukommen.
Die Prüfung selbst war geschenkt, nicht aber die Worte, die der Kapitän a. D. danach an uns richtete. Er sagte:“Segeln lernen sie, im dem sie es tun. Sie werden Fehler machen (woher weiß er das?) und sie werden daraus lernen. (Wir arbeiten daran). Nur eines ist wichtig, glauben sie mir bitte, die Sicherheit. Gehen sie keine Kompromisse ein. Das ist das Einzige, was zählt.“ Er erzählte, dass er seiner Reederei immer wieder Mängel an den Schiffen gemeldet hatte, auf denen er fuhr und über die er die Verantwortung hatte. Die Reederei vertröstete ihn stets, dass die Schiffe bald in einer Werft überholt werden würden. Im Zug der heutzutage überall gängigen Sparmaßnahmen geschah nichts. Deswegen hat er vorzeitig aufgehört, zu arbeiten. Von seinem Freund und Kollegen, der die gleichen Probleme mit der Reederei hatte, blieb nach einem Sturm im südlichen Atlantik nichts, rein gar nichts, übrig. Mit Tränen in den Augen erzählte der Kapitän diese Geschichte.
Walter und ich nahmen uns seine Worte sehr zu Herzen. Ich habe von diesem Mann mehr gelernt, als in den zwei Wochen Mallorca oder vorher beim Theorieunterricht.
So kam es dazu, dass Walter und ich heute, am 09.09.2011 um 13 Uhr, unser allerschönstes Erlebnis hatten.
Heute standen wir wieder an der Stelle nach einem langen Weg, an der vor sieben Jahren das ältere Ehepaar ihre Yacht festgemacht hatte. Nun legten wir in aller Ruhe, souverän und gekonnt (In der `schriftstellerischen` Fantasie ist alles erlaubt, oder?) im Hafen von Kaseberga an und aßen ein wunderbares Fischbrötchen.
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