Alptraumfahrt bei Nacht nach Klintholm

Kathrin und Marco sind mit an Bord! Wir freuen uns sehr darüber, mit ihnen gemeinsam unseren Törn in Laboe zu beenden. Mit der neuen Crew wollten wir am Montag früh um sieben Uhr nach Klintholm auf der Insel Moen in Dänemark starten. Vor uns lagen geplante 60 Seemeilen, Windrichtung Süd – West, ziemlich genau auf der Linie nach Klintholm. Für morgens und nachmittags sagte der Wetterbericht vier – fünf Bft voraus, zunehmend bis sieben. Wir dachten, bis der Wind uns steif um die Ohren bläst, haben wir das Meiste. Denkste!
Pünktlich um sieben Uhr standen wir ablegebereit im Hafen und schauten ins – Nichts. Vor uns breitete sich vom Wasser her eine dicke Nebelwand auf. Die Hafenschutzmauer sah man schon nicht mehr, die Kirchturmspitze von Ystad war nebelumhangen. Ablegen? Nein danke! Lieber warteten wir auf besseres Wetter. Nach einer dreiviertel Stunde war der Spuk vorbei, wir hatten wieder freie Sicht.
Los ging die Fahrt. Der Wind blies uns mit vier Bft wieder mal voll ins Gesicht. Wir kreuzten gegen den Wind. Die Snow Goose kränkte. In den Schapps polterte das Geschirr und suchte sich nach jeder Wende eine neue Position. Alles, was nicht niet – und nagelfest war, flog durch das Boot, wobei wir schon das Meiste optimiert haben. Oben an Deck krallten wir uns fest, wo immer wir was zum Festhalten fanden. Wer auf der Leeseite saß, konnte sich anlehnen. Die Anderen mussten irgendwie klarkommen.
Leider wurden Kathrin und Marco seekrank, die Armen. Für den ersten Segeltag war das einfach zu heftig. Bis gegen 14 Uhr schauten wir uns das Elend an, dann machten wir Lagebesprechung. Walter meinte, dass es besser wäre, mit Motor weiterzufahren, weil wir gerade mal die Hälfte des Weges geschafft hatten. Kathrin meinte tapfer, ihr würde es schon wieder besser gehen. Auch Marco sagte, wegen ihm könnten wir ruhig noch segeln. Wir beschlossen, dass wir erst eine Weile motoren und dann weitersehen. Das Großsegel ließen wir stehen, das gab dem Schiff etwas mehr Stabilität. Die starke Kränkung war weg. Zwischen 17 und 18 Uhr legte der Wind zu. Die Böen hatten anfangs eine Windgeschwindigkeit von bis zu 30 Knoten, der Wind rauschte mächtig durch die Wanten und die Stagen. Zu nahmen auch die Wellen. Zwei – drei Meter hohe Wellen von vorne hoben den Bug der Yacht hoch in den Himmel. Bei den höchsten Wellen krachte die arme Snow Goose mit lautem Getöse auf die Wasseroberfläche zurück, aua. Bald darauf brauste der Wind mit 25 – 28 Knoten durch alles, was sich ihm in den Weg stellte, vor allem zerrte er an uns und der Yacht. In Böen lag die Geschwindigkeit bei 34 Knoten. Der Dieselmotor kämpfte sich durch die Wellen durch. Wenn die Wellen die Snow Goose auf ihrer Spitze trugen, verringerte sich die Fahrtgeschwindigkeit auf 1,6 Knoten. Walter wünschte sich einen stärkeren Motor.
Die Zeit verrann. Wir hatten alles gegen uns, den Wind, die Wellen und die Strömung mit bis zu 1,5 Knoten. Wir kamen kaum vorwärts. Langsam wurde es dunkel. Wir hatten noch viele Seemeilen vor uns. Klar war, das würde eine lange Nacht werden. Die Hafeneinfahrt von Klintholm bereitete mir Kopfzerbrechen. Im Hafenhandbuch und dem Begleitheft der Seekarten heißt es: `Bei Starkwind aus SW – den hatten wir – ist es riskant, Klintholm anzulaufen, bei Sturm unmöglich`. Bedenken machte mir die Dunkelheit. Wie würden wir die Hafeneinfahrt meistern? Letztes Jahr waren wir in Klintholm. Damals hatten wir nachmittags bei schwachem Wind und Sonnenschein angelegt. An die Hafeneinfahrt erinnerte ich mich nicht mehr. Wir würden sehen. Jetzt mussten wir erstmal dorthin kommen. Die Insel Moen kam in Sicht. Die Kreidefelsen hoben sich in hellem Grau vom dunklen Wald auf der Spitze ab. Ab und zu tauchte der Vollmond aus den dicken Wolken auf, im Licht strahlten die wunderschönen Felsen fast weiß. Wären nicht die widrigen Umstände gewesen, wäre das eine romantische Fahrt durch eine lichte Vollmondnacht vor beeindruckender Kulisse gewesen. War es aber nicht. Zu allem Ãœbel fing es auch noch an zu Regnen. Da waren starke Nerven gefragt.
Die Fahrt an den Klippen entlang nahm kein Ende. Zwischen 1,6 und höchstens 3,5 Knoten quälte sich der Motor durch. Normalerweise sind wir mit fünf – sechs Knoten unterwegs. Vor uns lagen noch sieben Seemeilen bis wir ein Gebiet, in dem wir Fischernetze vermuteten, umrundet hatten. Vor Netzen wird gewarnt. Wir erinnerten uns an viele um Klintholm herum. Liegen die aus bei solchen Wetterverhältnissen? Leider kennen wir uns mit den Gewohnheiten der Fischer nicht aus. Sicher ist sicher. Sollten wir uns die gefährliche Einfahrt des Hafens herbei wünschen? Durch mussten wir. Da hilft nur noch beten.
Klintholm kam näher. Plötzlich war die Hafeneinfahrt vor uns. Sie ist von SW her anzufahren. Wir machten die grüne Lateraltonne aus. Sie begrenzt eine Mole, die als Wellenbrecher weiter ins Meer ragt. Versetzt hinten sah man die rote Tonne. Starke Böen machten uns zu schaffen. Es goss in Strömen, die Sicht war schlecht. Die Einfahrt schien sehr eng zu sein. Sie war kaum beleuchtet. Walter rief:“Wo ist die rote Tonne. Ich seh sie nicht mehr.“ Aber ich sah sie. Sie war auf zwölf Uhr direkt vor uns und stand auf einer Mole aus Felsbrocken. „Da ist sie!“ schrie ich auf. Walter wendete die Snow Goose schon weg von der Gefahr. Er schaute sich um. „So sieht das aus.“ Ein neuer Versuch. Walter fuhr fast blind durch die enge Einfahrt. Der Wind drückte die Snow Goose nach backbord. Walter hielt das Boot gut in der Mitte. Gleich hinter der Einfahrt geht es links um eine Kurve, ebenfalls mit wenig Platz. „Du kommst der Mauer an backbord zu nahe,“ schrie ich. „Wo ist die Mauer?“ Marco leuchtet mit der Taschenlampe an der Mauer, ebenfalls aus Felsen gebaut, entlang. Nach wenigen Metern legten wir gegen 24 Uhr längsseits an, nach 70 Seemeilen und 16 Stunden Fahrt.
Das Anlegemanöver war verglichen mit der Fahrt harmlos, der Wind drückte uns gegen die Mauer. Die Fender schützten uns gut. Leinen fest und geschafft! War ich dankbar, dass alles gut gegangen ist!
Wir waren ausgehungert. Kathrin und Marco aus verständlichen Gründen, Walter und ich kamen unterwegs nicht zum Essen, wir mussten gegen die Naturgewalten kämpfen. Nachts um ein Uhr saßen wir um den Tisch im Salon und aßen Linsen, die hatten wir schon tags zuvor gekocht, Nudeln und Köttbullar, schwedisch – schwäbische Freundschaft. Alle aßen mit großem Appetit. Marco fragte: „War das heute ein ganz normaler Segeltag?“ Ich antwortete lachend: „Das war der Schlimmste auf dem ganzen Törn und ihr wart leider dabei.“ Spannend für mich war die Frage – wenn das ein ganz normaler Segeltag gewesen wäre, wie lange hätte ich mitgemacht? Eine Woche, vlelleicht zwei? Jedenfalls keine bis dahin 134 Tage und 2779 Seemeilen.
Die wahren Helden des Tages waren Kathrin und Marco. Die Zwei hielten tapfer durch. Keine Klagen kamen über ihre Lippen, sie hielten ohne Protest durch. Jeder hing seinen Gedanken nach. Sie akzeptierten die Lage so, wie sie war. Respekt! Das sind Segler.

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