Freudig in die Katastrophe
Zwei Tage haben wir in einer der ältesten Städte Schwedens verbracht, haben im ansehnlich renovierten Schloss viel über das Leben vom 12. bis zum 16. Jh. erfahren und das quirlige Stadtleben genossen.
Heute sollte es weitergehen nach Byxelkrok. Früh aufgestanden, freuten wir uns auf einen langen (50sm) Törn. Walter meinte, das wird ein schöner Tag. Von wegen!
Wir fuhren aus der Hafeneinfahrt von Kalmar hinaus – Walter übergab mir das Ruder. Nett wie er ist, nahm er mir die 30 Meter lange Leine zum Aufschießen ab. Vor mir war viel Platz, meinte ich. Ich sah eine südliche Gefahrentonne, etwas entfernt grüne und rote Lateraltonnen. Nach einem zu kurzen Blick auf den Plotter war ich der Meinung, ich hätte freie Fahrt; dachte, die Fahrwasserstraße wäre für die Passagierdampfer da und fuhr freudig in die Katastrophe.
Ein kreischendes Geräusch, die Snow Goose machte einen Satz, krachte mit voller Wucht aufs Wasser zurück, kränkte leicht nach backbord, richtete sich wieder auf. Das hörte sich an wie ein Totalschaden. Wir standen mit laufendem Motor. Schnell wollte Walter uns befreien. Das Ruder klemmte in Richtung backbord. Damit waren wir manövrierunfähig. Wir erblassten. Walter versuchte es immer wieder – Vorwärtsgang, Rückwärtsgang. Nichts bewegte sich. Was war geschehen? Weit außerhalb der Fahrwasserstraße befinden sich viele Steine im Wasser. Ich hätte daran denken müssen. Schon bei der Herfahrt leiteten uns Tonnen um viele Untiefen herum.
Wir schafften es nicht alleine. Walter funkte über UKW-Kanal 16 und 12 das Hafenamt an. Er versuchte sämtliche Telefonnummern, die wir auftreiben konnten. Keine Reaktion. Wir saßen da wie gelähmt. Welche Schäden hat die Snow Goose genommen? Wir schauten in allen Bilgen nach, ob wir Wassereinbruch hätten. Mir war schlecht. Meine Knie waren wie aus Gummi. Ich fühlte mich entsetzlich. Abwechselnd versuchte Walter, Hilfe zu erreichen oder die Snow Goose flottzukriegen – ohne Erfolg.
Nach scheinbar endlosem Harren meldete sich Kalmars Personenfähre und fragte, ob wir ein Problem hätten. Sie verwiesen uns auf ´Sweden Rescue`. Nach wenigen Minuten waren drei Männer von der Seenotrettung bei uns. Freundlich fragte einer:“Wie geht es ihnen?“ Ich war ein bisschen erleichtert. Sie zogen uns frei und schleppten uns das kurze Stück zurück zum Hafen. Wir waren unendlich dankbar. Gleich war ein Mitarbeiter zur Stelle und erkundigte sich nach dem Problem. Schnell war klar, die Snow Goose muss aus dem Wasser. Ein Kran stand um die Ecke. Das Rettungsboot brachte uns dorthin. Was für ein Gefühl! Unser stolzes Boot war manövrierunfähig, musste geschleppt werden wie ein altes Gefährt.
Spannend war der Moment, als die Snow Goose langsam aus dem Wasser empor schwebte. Welcher Anblick würde uns erwarten? Alle schauten gebannt hin. Der Rumpf – auf den ersten Blick unauffällig. Der Kiel – bei näherem Hinsehen entdeckten wir an Steuerbordseite in cirka 20 cm Höhe vom Boden weg Kratzer; das sind zum Glück nur Schönheitsfehler. Das Ruder – makellos. Erleichterung breitete sich in uns aus. Sorgfältig untersuchte der Hafenarbeiter das Boot von außen. Er meinte: „Das sieht gut aus. Ich schaue jetzt nach dem Ruder.“ Er kletterte über eine Leiter auf die Yacht.
Nach einer Weile kehrte er zurück. Im Ruderzahnrad hatte sich durch den Aufprall eine Unterlegscheibe verklemmt. Die gehört da gar nicht hin. Vermutlich ist sie bei der Montage einem Arbeiter runtergefallen und liegt da schon lange. Erschreckt fragte ich den Monteur: “Hätte sich das Plastikteil auch durch eine hohe Welle auf offener See verklemmen können?“ Er meinte nicht.
Die Snow Goose wurde aus ihrer würdelosen Lage befreit und dorthin zurückgebracht wo sie hingehört – ins Wasser.
Völlig ausgelaugt entschlossen wir uns, die 19 sm nach Borgholm zu fahren und unsere Reise nach Byxelkrok erst morgen von dort aus fortzusetzen.
Großen Dank schulden wir den Seenotrettern von Kalmar. Sie üben diese Tätigkeit ehrenamtlich aus und kamen direkt von der Arbeit.
Danken möchten wir auch den Arbeitern vom Hafen, die sich sofort um uns gekümmert und uns rasch wieder flott gemacht haben.
Ganz besonders danken möchte ich Walter. Obwohl selber sichtlich mitgenommen, kam nicht ein Wort des Vorwurfs über seine Lippen – obwohl er allen Grund dazu gehabt hätte. Im Gegenteil, immer wieder lächelte er mir aufmunternd zu oder tröstete mich mit Worten. Er ist der allerbeste Skipper.
Für mich habe ich gelernt, mich besser auf ein Segelgebiet vorzubereiten. Vor allem in der Ostsee mit den ganzen Untiefen. Wir haben exakte Seekarten, sie sind zum Benutzen da.
Heute war kein schöner Tag.