Abschied

Walter und ich nehmen Abschied von unserem Törn.
Wir sitzen zu Hause am Esstisch, schauen uns an und fragen uns ungläubig:“Waren wir überhaupt weg?“ Immer wieder tauchen Bilder wie Blitze vor meinem geistigen Auge auf, wie Traumbilder und für den Bruchteil einer Sekunde bin ich wieder dort, wo ich staunend geschaut habe, wo fremde Gerüche und Geräusche mich still werden ließen. Ich gehe auf eine innere Reise und besuche noch einmal die Orte, die so schön waren, dass es mir einen kleinen Stich ins Herz gibt, wenn mir bewusst wird, dass alles nur Bilder sind.
Ich denke an Saaremaa, diese estnische Perle in der Ostsee, die den Besuchern so viel zu bieten hat. An Ruhnu, als wir spontan beschlossen, dort einen Tag zu verbringen, weil wir von der ruhigen Schönheit angetan waren, an die gemütlichen Häuser, die sich in große Gärten schmiegten, an die Einsamkeit dort. Dann Kihnu, das Gegenteil, diese lachende, fröhliche Insel, wir kamen gerade rechtzeitig zum trinkfreudigen Inselfest, das die Frauen in ihren bunten, wollenen Röcken feierten, bei 30 Grad Celsius! Als wir mit wenigen Euros aus Lettland anreisten und es auf der ganzen Insel keinen Bankomaten gab, nur ein Postamt, in dem nur Postscheckkarten zu Geld verhalfen. Als wir in jedem Tante Emma – Laden eine kleine Flasche Wasser kauften und unter großen sprachlichen Problemen baten, uns doch mehr Geld auf unsere EC Karte herauszugeben und sobald die Verkäuferinnen verstanden hatten, das überhaupt kein Problem war und wir unseren Aufenthalt genießen konnten. Anschließend die Insel Muhu, wir waren immer noch ohne Euros, das überraschte Gesicht von Walter, als er mit zwei fünfzig Euro Scheinen in der Hand vom Hafenmeister zurückkam, der meinte, der nächste Geldautomat sei viel zu weit weg, Walter solle ihm das Geld überweisen, wenn er wieder zu Hause wäre. Walter und ich gehören vielleicht zu den vertrauenserweckenden Zeitgenossen. Aber hat uns schon mal jemand Fremdes so viel Geld in die Hand gegeben? Haben wir einem Fremden schon mal so viel Geld gegeben, ohne Sicherheit? Nein, das haben wir nicht!
Riga, die Wunderschöne, um die Segler oft einen Bogen machen, weil die Rigaer Bucht groß ist und die Stadt weit im Süden liegt. Dieses Übermaß an Jugendstilgebäuden, wo sich reiche Kaufleute Denkmäler schufen und doch genauso vergessen werden wie Normalsterbliche. Wo weniger manchmal mehr wäre.
Tallinn, modern, altertümlich, eine lebendige Stadt. Danzig, wunderschön, als ich traurig war, weil ich immer wieder über Sprachbarrieren stolperte – der Wachmann der Marina hatte sicher viel zu erzählen, leider nur auf polnisch. Kaliningrad, die Fremde, jedoch nicht feindliche, wo die Menschen gerne mehr Touristen hätten, man aber als Tourist ziemlich hilflos ist. Zum Glück gibt es dort Menschen wie Vitali, die aus Not Geld verdienen müssen und sich als Fremdenführer anbieten. Wer soll dorthin noch kommen, wenn die Heimweh – Touristen nicht mehr reisen können? Dann die Königin der Ostseestädte, Sankt Petersburg, wo es kein Mittelmaß zu geben scheint, aber auch keine goldene Mitte, wo es nur entweder oder, reich oder bleich gibt. Sprachlos war ich von der Schönheit, dort zu Leben ist ein Kampf, egal auf welcher Seite man steht. Und, und, und…..
Und das Meer, das uns in den letzten Segeltagen des Törns mit Nachdruck zu sagen schien:“Seht mal zu, dass ihr Land gewinnt. Denn dem, was nun kommt, seid ihr nicht gewachsen.“ Das Meer, das uns zu all den Orten getragen hat, mal freundlich, mal heftig, kaum berechenbar, niemals planbar. Das uns gelehrt hat, Dinge zu nehmen, wie sie sind, ohne sie unserem Willen beugen zu wollen. Das uns Freiheit gezeigt hat, Größe und scheinbare Unendlichkeit. Das uns sanft gewogen oder herb geschüttelt hat, dem wir letztendlich gleichgültig sind.
Wehmütig und mit schwerem Herzen laufen mir sehnsuchtsvolle, salzige Tränen über das Gesicht. (Beinahe;-)).

Nach der Saison ist vor der Saison
Das Ziel der nächsten Saison wollten wir entscheiden, wenn wir 2011 abgeschlossen hätten. Keine Ahnung wann, aber mittendrin auf unserem Ostsee – Törn waren wir uns einig, nächstes Jahr gehts in die Nordsee. Die Idee hat mir ein älterer Hamburger in den Kopf gesetzt. Letztes Jahr, als wir von Helgoland zurückkamen, legten wir in der Schleuse von Holtenau an einem wunderschönen Holzschiff an. Das Ehepaar, im fortgeschrittenen Alter, hatte gemeinsam viele, viele Seemeilen auf dem Buckel. Wir redeten über wohin – woher, als der Mann meinte:“Sie müssen unbedingt auf die Färöer Inseln.“ Mit leuchtenden Augen schilderte er die Schönheit, die Freundlichkeit der Menschen dort. Immer wieder meinte er, dass wir dort hin müssten, bis ich nur noch nickend dastehen konnte und dachte, ja, da müssen wir hin. Sehr zur Freude von Walter, der den Wunsch schon früher geäußert hat. Damals meinte ich, da kann man bestimmt nicht segeln, da muss man mit einem Eisbrecher durch. Außerdem würde man dort von Eisbären gefressen. Ich staune heute sprachlos über meine beeindruckende Bildung. Und wenn wir auf den Färöer Inseln sind, besuchen wir auch gleich Island. Wenn wir schon mal da sind.

Liebe Leserinnen und Leser, ihr seid herzlich eingeladen, nächstes Jahr – Ende April, Anfang Mai, mit uns Richtung Nordwesten zu segeln, wenn es wieder heißt: Wer wagt, kann verlieren – wer nicht wagt, hat schon verloren.
Vielen Dank für Euer Interesse, bleibt gesund.
Vielleicht bis nächstes Jahr,

liebe Grüße,

Gisela, Walter und die Snow Goose

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